Kein Einstieg für Mobilitätseingeschränkte in den neuen IRE am Hochrhein

Mit einem gemeinsamen Klassenausflug in der letzten Schulwoche sollte das Schuljahr einen schönen Ausklang finden.

Allerdings entpuppte sich die Planung der Bahnfahrt als sehr aufwändig und kompliziert. Zuerst hieß es Ende Juni seitens der Mobilitätszentrale der Deutschen Bahn (MSZ), dass die Züge nicht rollstuhlgerecht seien, da die Wagenreihe des IRE auf den Typ VT 612 umgestellt wurde. Ich konnte mir das nicht vorstellen, denn das wäre eine Verschlechterung gegenüber dem alten IRE. Dieser hatte zwar Stufen, aber es war immerhin ein Einstieg an den Bahnhöfen möglich, die über einen Hublift verfügen. Die MSZ teilte mir mit, dass die neuen Züge einen integrierten Hublift besitzen, dieser allerdings nicht funktioniere. Aus Materialgründen des Zuges könne aber auch nicht der Hublift des jeweiligen Bahnhofs genutzt werden. Auch nach Rücksprache mit der 3-S-Zentrale in Stuttgart hatte die MSZ keine weitere Informationen, weshalb meine Mutter zum städtischen Bahnschalter gegangen ist. Das dortige Personal hatte keine Information darüber, dass der Einstieg für mobilitätseingeschränkte Personen in den IRE nicht möglich ist und hat daraufhin die 3-S-Zentrale in Basel angerufen. Diese habe gesagt, dass der Ein- und Ausstieg kein Problem sei.

Wie kann das sein, dass ich nun zwei vollkommen gegensätzliche Aussagen zum selben Sachverhalt bekommen habe? Auf Nachfrage bei der Pressestelle der DB konnte mir dazu keine Antwort gegeben werden. Der Bahnsprecher aus Baden-Württemberg teilte mir allerdings mit, dass „alle Hublifte in den Fahrzeugen derzeit im Rahmen einer Rollkur überprüft“ werden. Die Überprüfung dauert „voraussichtlich bis Ende September“, in dieser Zeit könne der Einsatz des zugeigenen Hublifts nicht garantiert werden. Allerdings sei “an den Stationen, an denen ein mobiler Hublift vor Ort ist, eine Beförderung von Rollstuhlfahrern möglich” bei vorheriger Anmeldung bei der MSZ.

Mit dieser Information bin ich dann wieder zum städtischen Bahnhof und habe gebeten, dass diese die Fahrt bei der MSZ anmelden. Seltsamerweise war es dieses Mal kein Problem.

Letzte Woche bin ich dann mit dem IRE gefahren, um zu testen, ob alles klappt. (Wie der Zug an sich ist, werde ich später einmal berichten, darum geht es hier nicht.) Und tatsächlich waren Ein- und Ausstieg in den IRE der Baureihe VT 612 mit dem Hublift problemlos wie immer.

Kaum war ich heute im Haus, hat das Telefon geklingelt.

Und dann herrschte ein zweistündiges Chaos, ich habe das Gefühl bekommen,
die eine Hand bei der DB weiß nicht, was die andere macht.

14:39: Die MSZ teilt mir telefonisch mit, dass ich morgen nicht mit dem IRE fahren kann, der Ein- und Ausstieg sei nicht möglich. Ich erkläre, dass diese Information nicht stimmt, da ich letzte Woche mit ebendiesem Zug gefahren bin. Mein erster Gedanke: Hat die MSZ mal wieder übersehen, dass es in Bad Säckingen einen Hublift gibt? Das passiert sehr oft und ist nichts Neues; es liegt vermutlich daran, dass der Hublift durch das DRK bedient wird, weil es kein Servicepersonal am Bahnhof gibt, die den Hublift im Normalfall bedienen. Es stellt sich aber heraus, dass diese Vermutung falsch war. Mobilitätseingeschränkte Bahnreisende könnten nicht mit dem IRE fahren, weil man den Hublift des Bahnhofs nicht verwenden darf. Warum das so ist, kann mir die Mitarbeiterin der MSZ nicht sagen. Wir vereinbaren, dass sie sich erkundigt und mich dann zurückruft.

14:50: Ich versuche, den Bahnsprecher telefonisch zu erreichen, der aber aktuell einen anderen Termin hat.

15:16: Der Bahnsprecher ruft mich zurück. Er sagt, dass die Lichtschranke nicht funktioniere. Der Schließmechanismus müsse manuell deaktiviert werden – das ist möglich, dazu muss der Triebfahrzeugführer allerdings den entsprechenden Schalter an der Tür betätigen und muss dafür aus dem Triebwagen aussteigen. Die Servicemitarbeiter des Bahnhofs dürfen den Schalter nicht betätigen, da sie dafür nicht versichert sind. Jedoch sind nur die Halte Bad Säckingen und Friedrichshafen davon betroffen sind, wie er mir mitteilte. Warum nur diese Halte betroffen sind, wenn doch die Türen dieselben sind, konnte er mir auf die Schnelle nicht beantworten, auch nicht wie lange dieser Zustand noch anhält und warum das ein Problem darstellt, wenn der Triebfahrzeugführer den Schalter betätigen muss. Nun wird seitens der Bahn geprüft, wie die Situation gelöst werden kann, so der Bahnsprecher. Ihm sei bewusst, dass die Situation unbefriedigend ist. Meine offenen Fragen wird er mir schriftlich noch beantworten.

15:44: Auch die MSZ bestätigt mir nun, dass die kaputte Lichtschranke das Problem ist. In Friedrichshafen sei die Zugtür zugegangen, obwohl die Rampe des Hublifts dazwischen war. Aufgrund dieses Vorfalls gibt es jetzt die Anordnung, dass die Hublifte der Bahnhöfe nicht mehr verwendet werden dürfen. 

In der Konsequenz heißt das: Menschen mit Mobilitätseinschränkung können auf
der Hochrheinstrecke aktuell nicht mehr mit dem IRE fahren.

Das Problem daran ist, dass von und nach Singen, Friedrichshafen, Ulm etc. keine anderen Züge fahren und mobilitätseingeschränkte Reisende somit keine Möglichkeit haben, anders zu Bahnhöfen wie Friedrichshafen zu kommen oder von dort los zu fahren. Sie empfiehlt mir, die Situation beim Kundendialog zu melden, da sich ansonsten nichts ändern wird.

15:53: Was nun? Kann ich nun wirklich nicht mit auf den Klassenausflug? Plötzlich kommt mir die vage Idee, dass ich eventuell mit dem DRK fahren könnte. Ich gehe zwar nicht davon aus, dass die Eingliederungshilfe (EGH) eine Fahrt von insgesamt 300 km (hin und zurück) übernimmt, aber was habe ich schon zu verlieren? Ich rufe also bei der EGH an, die zuständige Mitarbeiterin ist in einem Termin, ruft mich jedoch zurück. Innerlich verabschiede ich mich bereits von dem Gedanken, dass ich mit auf die Klassenfahrt kann.

16:01: Per E-Mail bekomme ich gerade die Bestätigung des DRK, dass sie mich morgen abholen und zum Bahnhof fahren sowie die Ein- und Ausstiegshilfe übernehmen können. Ich rufe gleich zurück und sage, dass ich die Hilfe nicht mehr brauche, da ich nicht mit dem IRE fahren darf. Ich berichte dem Mitarbeiter, dass ich bei der EGH angefragt habe, ob die Kosten für die Fahrt mit dem DRK oder mit dem Taxi übernommen werden, dass ich allerdings nicht davon ausgehe, dass das genehmigt wird. Durch die lange Strecke sind die Kosten sicher sehr hoch. Das DRK gibt mir die Bestätigung, dass sie mich im Fall der Fälle fahren können.

16:37: Das DRK ruft an und die Mitarbeiterin sagt mir, dass mich das DRK fahren darf, die EGH habe gerade angerufen und die Kostenübernahme bestätigt.

So richtig angekommen ist die Nachricht noch nicht bei mir, doch langsam
macht sich ein Grinsen in meinem Gesicht breit.

Ich freue mich so sehr, dass ich nun doch mit auf den Klassenausflug kann! 

Doch bei all der Freude bin ich fassungslos. Es kann doch nicht sein, dass mobilitätseingeschränkte Reisende so sehr am Bahnfahren gehindert werden! Sobald ich die Antwort des Bahnsprechers bekomme, melde ich mich wieder. Ich bin vor allem darauf gespannt, wie lange dieser Zustand noch andauern soll.

Wenn man nun nach Friedrichshafen möchte, wäre die einzige Möglichkeit über Basel, die Fahrt dauert zwei Stunden länger, man muss fünfmal umsteigen – anstatt gar nicht – und man fährt mit dem Fernverkehr und zahlt so sehr viel mehr Geld.

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